Stadt Memmingen:Diskussions- und Vortragsabend am 10. Mai 2019 - Höfe, Umnutzungen, Neues Wohnen

Bauwesen

Diskussions- und Vortragsabend am 10. Mai 2019 - Höfe, Umnutzungen, Neues Wohnen

Unter dem Titel "Steinheimer Diskussionen & Vorträge" hatten die Planer*innen vom Team KARO* am 10. Mai 2019 in das Gemeindehaus geladen. Jörg Imminger, Leiter der Kämmerei, begrüßte die Bürger*innen im Namen der Stadt Memmingen, und Pfarrer Martin Burkhardt hieß die Gäste im Gemeindehaus herzlich willkommen. Die neuen Stühle des Hauses waren erstmals vollständig besetzt, mehr als 80 Besucher waren gekommen. Als Moderator des Abends wirkte Prof. Stefan Rettich vom Team KARO*.

"Platz genug ist ja"

Steinheims Höfe übernehmen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Ortsteils. Um gemeinsam mit Bewohner*innen und Hofbesitzer*innen über die Zukunft der Höfe nachzudenken, hatten die Planer im Vorfeld Ideen gesammelt und Beispielgeber*innen eingeladen, die unlängst Höfe im ländlichen Raum auf innovative Weise umgebaut haben.

In die Thematik führten Antje Heuer und Nicoletta Rehsöft vom Team KARO* ein: Mehr als jeder bzw. jede zweite Steinheimer*in wünscht sich für die alten Höfe neue Formen der Bewirtschaftung, Nischenkonzepte, die an das Regionale und Ländliche anknüpfen oder Nachnutzungskonzeptionen. Von über 40 Hofstellen im Ort betreibt eine Handvoll Landwirte die Landwirtschaft noch im Vollerwerb, für weitere etwas mehr als eine Handvoll ist sie Nebenbeschäftigung.

Die Landwirtschaft hat große Häuser gebraucht und hervorgebracht. In Telefonaten haben einige Landwirte den Planern erzählt, was sie in Bezug auf die Zukunft ihrer Höfe bewegt. Viele Hofgebäude dienen derzeit als Lagerhallen für Maschinen, Gerätschaften und Material. Oft ist man sich im Klaren darüber, dass Veränderungen geschehen müssen, verschiebt aber Planungen auf später. Es herrscht Skepsis, gibt aber auch Ideen; viele Steinheimer*innen beschäftigen sich aktiv mit dem Thema, sind offen und interessiert.

Die Höfe befinden sich in Wartestellung: so wartet man auf die berufliche Entscheidung der Kinder oder darauf, wie sich der Ort entwickeln wird. Einige wenige Landwirte werden künftig auch weiterhin Landwirtschaft betreiben. Andere sehen auf jeden Fall das Potenzial ihrer Höfe: „Platz genug ist ja“, sagt eine Hofbesitzerin.

Die Planerinnen zeigen im Anschluss gebaute Beispiele aus ganz Deutschland zur Umnutzung von Höfen.

 Links zu den Beispielen: 

- Dorfladen in Wiesenfeld/Bayern

   https://www.wiesenfelder-dorfladen.de/ 

- Landgasthof Westrich in Till bei Kleve/Nordrhein-Westfalen

   https://www.landgasthof-westrich.de/ 

- Fitnesscenter in Glandorf/Niedersachsen

   https://www.laufart-training.de/ 

- Eichstädts Bed & Breakfast in Münster-Hiltrup/Nordrhein-Westfahlen

   www.eichstaedts-muenster.de 

- Freibauernhof Kimminger in Hauzenberg/Bayern

   https://www.kimminger.de/ 

- Jugendscheune in Könitz/Thüringen

   www.geistreich.de/experience_reports/1042 

 

Steinheimer Hofsprechstunde

Bevor der Hauptteil der Veranstaltung beginnt, weisen die Planerinnen auf die ausgelegten Postkarten hin. Den Steinheimer*innen wird auf den Karten die Möglichkeit geboten, bestimmte Nachnutzungen für Höfe anzukreuzen und weiteren Gesprächsbedarf beim Stadtplanungsamt anzumelden. Denn die Vorbereitende Untersuchung bietet die Gelegenheit, die Dinge im Ganzen zu betrachten. Die „Steinheimer Hofsprechstunde“ ist hierbei das Angebot, unverbindlich mit Planern und Mitgliedern des Stadtplanungsamtes über den eigenen Hof oder auch über das Interesse an Hofprojekten zu sprechen. Die Karten liegen auch nach der Veranstaltung noch im Gemeindehaus aus. Es folgt der Hauptteil der Veranstaltung: Zwei externe Experten berichten aus der Praxis vorbildlicher und begeisternder Umbauten und Umnutzungen alter Höfe.

Beispiel 1 - Hof8 in Weikersheim/Baden-Württemberg

Im ersten Teil referiert Prof. Dr. Martina Klärle zum Projekt Hof 8 im Taubertal. Ein200 Jahre alter Hof wurde hier zum Plus-Energie-Hof umgebaut und bietet nun einem Ingenieurbüro, einer Hebammenpraxis und zwei barrierefreien Wohneinheiten für Senioren Platz. Etwa 50 Nutzer und Bewohner beleben das Ensemble neu und stärken gleichzeitig den Ort. Der sanierte Hof produziert 80 Prozent mehr Energie als er verbraucht; Photovoltaik und Grundwasser-Wärmepumpe sorgen für ausschließlich regenerative Energie. Beim sparsamen Verbrauch helfen eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und Beleuchtung über LEDs. Es gibt ein Nahwärmenetz und Ladestationen für Elektrofahrzeuge, von denen der ganze Ort profitiert ...

Weitere Informationen unter:

https://www.klaerle.de/HOF8

 

Beispiel 2 - Seniorenwohnhof in Reichenberg/Bayern

Im zweiten Teil berichtet Helmut Stahl vom Umbau eines historischen ehemals landwirtschaftlichen Anwesens. Es war eine der besonderen Herausforderungen, mit der alten Bausubstanz zu arbeiten. Die barrierefreie Seniorenwohnanlage am Schlossberg beherbergt eine selbstverwaltete Wohngemeinschaft für insgesamt 16 Senioren. Von der Gemeindeerbaut, agiert eine „Wohnen im Alter gGmbH“ als Vermieter und Betreiber (mit Gemeinde, Stiftung Altenhilfe, Kirchengemeinde und Diakonie als Gesellschaftern) – in enger Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis Seniorenwohnen und einem Gremium der Selbstbestimmtheit, das aus den Senior*innen selbst besteht. Das intelligente Betreiberkonzept und die Zusammenarbeit mehrerer Partner und Grundstückseigentümer ermöglichte dieses schöne Vorhaben mitten in zentraler Dorflage – mit dem Nebeneffekt einer neuen Ortsmitte.

Weitere Informationen unter:

http://www.stahl-lehrmann.de/index.php?id=205

 

 

Man muss weit denken - und sich Zeit nehmen

Nach zwei motivierenden Vorträgen folgte eine angeregte Diskussion, zunächst im Podium, dann zwischen Bürgern und Referenten.

Wie kommt man zu einem Nutzungskonzept?

Herr Stahl beantwortete diese Frage zunächst in Bezug auf den Seniorenwohnhof. Die Planungserfahrung im Bereich Pflege- und Seniorenwohnheime sei von Architektenseite aus dagewesen. Die Idee, etwas anderes zu machen, kam von Herrn Lütke von der Diakonie Bayern, den Herr Stahl als Ratgeber für ähnliche Vorhaben empfiehlt. Beim umgesetzten Konzept einer Seniorenwohngemeinschaft sind in einem definierten Umkreis maximal 2 Wohngruppen mit je 12 Bewohnern zulässig, die Pflege wird im Bedarfsfall ambulant organisiert. Dieser Seniorenwohnhof sei kein Pflegeheim – dafür gäbe es andere Vorgaben.(Pflegeheime ab 50 Plätze übernehmen überdies eine regionale Versorgungsfunktion.) Bei Bedarf könne man natürlich zusätzlich Seniorenwohnungen bauen. Der Hof habe einer älteren Dame gehört. Herr Stahl riet, was auch im vorliegenden Fall als Türöffner gewirkt habe – nämlich, für ein überschaubares Honorar zunächst eine Idee entwickeln zu lassen, einen Vorentwurf oder eine einfache Machbarkeitsstudie, mit denen man dann zu Ämtern und Regierung gehen kann. „Ein paar Striche auf dem Papier helfen unheimlich.“

Es sei auch möglich, mit einem Pool an Ideen auf einen Betreiber zuzugehen. Oder aber, Teile seines Eigentums zu verkaufen. Oder schrittweise umzubauen. Man müsse ganz weit denken.

Frau Klärle sprach von einem längeren Prozess der Nutzungsfindung. Eine Nutzung war gleich klar: das eigene Planungsbüro sollte untergebracht werden. Jedoch sollten die anderen zwei Drittel des Hofes nicht leer stehen bleiben, und so wurde als erstes ein Fest mit allen Nachbarn gemacht, in dessen Zusammenhang Ideenentstanden und aufgeschrieben wurden. Das Finden der Nutzungen zog sich über mehr als ein Jahr hin, es wurde mehrfach umgeplant, nicht zuletzt der Kostenwegen. Es sei wichtig, sagte Frau Klärle, sich auf Vorschläge einzulassen, und die Nachbarn „mitzunehmen“. Das Konzept des Hof8 habe sich langsam entwickelt, die Bauphase selbst dagegen nur elf Monate gedauert. „Zum Planen muss man sich Zeit nehmen.“ Man brauche eine Anfangsvision, eine Ankernutzung, klaren Willen und Gott vertrauen.

In beiden vorgestellten Projekten wurde das Nutzungskonzept in enger Zusammenarbeit mit den künftigen Nutzern sowie mit Nachbarn entwickelt und während des Planungsprozesses immer wieder umgestaltet und geschärft. Die Zusammenarbeit mit Nachbarn kann lohnend sein: Projekte können sich gegenseitig befördern und Kooperationen entstehen.

Welche Fördermittel wurden genutzt?

Bei den vorgestellten Projekten gab es unterschiedliche Akteurskonstellationen. Im Falle des Hof8 handelt es sich um private Bauherren, die als Vermieter fungieren. Es wurden reguläre Fördermittel verwendet, „wie sie jedem zustehen“ z. B. aus den KfW-Programmen, Sonderzuschüsse gab es keine. Ein Projekt wie Hof8 amortisiere sich vom Gesamtnutzen her sehr schnell, sagte Frau Klärle (der Mehrwert sei sofort da), vom ökologischen Nutzen her nach etwa 6 bis 7 Jahren (dem Zeitraum, nach dem sich die Mehrkosten für z. B. Photovoltaik und Wärmepumpe ausgeglichen haben), und vom Finanziellen her nach 20 bis 25 Jahren (wie bei jedem anderen Gebäude auch), und zwar über Einnahmen durch Miete und im konkreten Fall durch den Verkauf von Energie.

Das Projekt in Reichenberg wurde gefördert, sei insofern aber eine Ausnahmegewesen, sagte Herr Stahl. Durch eine öffentliche Widmung von Flächen auf 25 Jahre konnten dort auch Städtebaufördermittel verwendet werden. In der Regel finanzieren sich auch seine Projekte durch die Mieteinnahmen.

Wie läuft eine Finanzierung überhaupt ab?

Benötigt werden eine sehr gute Grundlagenermittlung, um Unwägbarkeiten gering zu halten, sowie eine Kostenschätzung und später eine Kostenberechnung, erklärte Herr Stahl. Kosten müssen – entsprechend der Leistungsphasen eines Vorhabens –geplant werden. Auch die einnehmbare Miete muss vorher kalkuliert sein. Das Vorhaben in Reichenberg konnte auf diese Weise sogar mit 10.000 Euroweniger abgerechnet werden als berechnet.

Was war das größte Hindernis? Wie verhandelt man mit Behörden?

Frau Klärle erhielt mit der Baugenehmigung 42 Auflagen, die jedoch allesamt keine größeren Probleme darstellten und durch Dialog mit den zuständigen Ämtern oderplanerisch lösbar waren. Ein Denkmal ist der Hof8 nicht. Hohe steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen beim Denkmalschutz kann mit Auflagen einhergehen. Den Behörden sei ihrer Erfahrung nach jedoch bewusst, dass Nutzung der beste Denkmalschutz sein kann. Von Seiten der Bürger gab es danach kritische Stimmen zu den Bauvorgaben der Stadt Memmingen, z. B. im Hinblick auf die Umgestaltung von Dächern und die Anordnung von Gauben.Erfahrungsgemäß sei die Orientierung an den bestehenden Kubaturen durchaus ein guter Weg, rieten die Experten. Sie empfahlen, die Behörden nicht als Gegner, sondern als Partner zu sehen, um so in Zusammenarbeit gute Ergebnisse zu erzielen. Das sei wie in einer Ehe. „Wenn man im Gespräch bleibt, gibt es immer eine gute Lösung.“

Ausblick: Eigene Ideen nicht scheuen

Eine gute Partnerschaft zwischen Hofbesitzern und der Stadt Memmingen wird für das Gelingen von Umnutzungen entscheidend sein. Beratungen zum Thema Finanzierung und Fördermittel sind nötig.

Geprüft werden sollte zudem die Möglichkeit einer Gestaltungssatzung oder eines entsprechenden Katalogs, der unter Mitwirkung der Bürger erarbeitet wird. Das könnte ein Weg sein, das Dorfbild zu erhalten und dennoch Umbauten im verträglichen Maß zu ermöglichen. Die eigene Investition sollte das Gesamtbild berücksichtigen.

Die Referenten betonten, die Steinheimer*innen sollten eigene Ideen nicht scheuen und sich von Enttäuschungen nicht bremsen lassen. Sich bei einer Flasche Wein mit dem Nachbar zusammenzusetzen, riet Frau Klärle. „Von dem vielen Gedachten sind dann vielleicht 10 oder 20 Prozent machbar, aber das ist in der Regel ausreichend.“

Die Planer*innen erinnerten an die ausgelegten Postkarten mit dem Angebot einer Hofsprechstunde. Die Steinheimer*innen nahmen viele Karten mit.